Deutschland-Besuch des Kikotem Chors

Deutschland-Besuch des Kikotem Chors

Streifzug durch ein interkulturelles musikalisches Begegnungsprojekt
Aufzeichnungen von Gretel Lossau

Interkulturelles Lernen kann als eine Brücke der Toleranz und Solidarität zwischen unterschiedlichen Kulturen sowie anderen Sitten und Ansichten erfahren werden. Der Kikotem-Chor aus Guatemala ist mit der bewussten Absicht entstanden, ein Projekt für interkulturelles Lernen ins Leben zu rufen. Ausgangspunkt ist der individuelle Wunsch, eine fremde Welt kennen zu lernen, ohne die eigene Identität aufgeben zu müssen.

Im Kikotem-Projekt steht deshalb der Begegnungscharakter zwischen Kindern und Jugendlichen der Länder Guatemala und Deutschland im Vordergrund. Die Chorleiter, die sich für dieses Projekt begeisterten und mit ihren Fachkenntnissen in der Musik dem Chor das Format verliehen haben, sind Julio Edgar Julián und Fernando Archila. Der Verstrebung eines gut vernetzten Teams, das in Deutschland durch Rolf Zuckowski vertreten war, der uns wiederum die Gastgeberkontakte zum Alsterfrosch-Chor und ihrer Leiterin Sigi Hennig sowie den Kontakt zum Erich-Kaestner-Kinderdorf mit Gunda Fleischauer und ihrem Team und den Koordinationskontakt zu Heidi Lindner vermittelte, als auch die Arbeitsgruppe des Kikotem-Chores in Guatemala unter der Leitung von Gretel Lossau, ist es zu verdanken, dass die Begegnung der Kinder und Jugendlichen zwischen 7-14 Jahren aus Guatemala und Deutschland erfolgreich stattgefunden hat. Der gemeinsame Nenner der teilnehmenden Kinder ist die Freude und der Spass am Singen. So entstand auch der Name "Kikotem" – der in der Mayasprache kakchiquel "Freude" bedeutet und treffend das Profil des Chores beschreibt, der sich durch seine Dynamik, seine Frische und Energie auszeichnet. Die Kinder des Kikotem-Chores sind Kinder, die das Singen als Genuss empfinden und entsprechend diese Freude beim Singen austrahlen.

Am 9. September 2006 war der lang ersehnte Reiseantritt nach einem intensiven Arbeitsjahr endlich da. Keiner der Beteiligten war jemals in Deutschland gewesen. Zuerst führte uns die Reise nach Hamburg zu unseren Elbe-Gastgebern, die "Alsterfrösche" unter der Leitung von Sigrid Hennig.
Der Rahmen für einen aussergewöhnlich herzlichen Empfang sprengte alle Erwartungshaltungen, als die deutschen Kinder mit ihren Eltern einen roten 100 Meter langen Teppich mit Rosenblüten verstreut zu Ehren der Gäste ausgebreitet hatten, um die guatemaltekische Delegation zu empfangen. Im Spalier standen unsere Gastgeber mit schwarz-rot-goldenen und blau-weissen Faehnchen zur Begrüssung der 31 Kinder und 22 Erwachsenen der Kikotem-Crew. Die Erwartung, sich kennen zu lernen, war von beiden Seiten gewachsen, zumal die Kontakte über ein Jahr durch Briefe, Mails und Telefonate angeknüpft wurden. Der Augenblick war gekommen, da man sich in den Arm nehmen durfte! Dass jedoch die Begegnung einen so extrem starken, emotionalen und gefühlsbetonten Moment auslösen würde, haben sich weder die deutschen noch die guatemaltekischen Freunde vorgestellt.

"DEINE WELT – MEINE WELT", so lautete die Einladung zu den verschiedenen Konzerten, die Rolf Zuckowski mit den Begegnungschören moderiert hat. Repertoirmaessig "verschmelzten" Rolfs Liedertexte in einer deutsch-spanischen "Viel-Harmonie" und Liederthemen wie "Du gehörst zu uns" - "Somos un gran grupo de amistad", gingen dem Geist der Völkerverständigung voraus, als sie parallel in beiden Sprachen erklangen. "Rolf’s Vogelhochzeit" auf spanisch inszeniert und gesungen galt als ganz persönliche Widmung des Kikotem-Chores an den Künstler. Das deutsche Repertoir der Alsterfrösche und das spanische Repertoir von Kikotem stand nicht weniger im Mittelpunkt der Konzertaufführungen. Alle Konzerte erreichten ein grosses und begeistertes Publikum. Der Botschafter aus Guatemala mit Sitz in Berlin, Herr Erich Richter, reiste eigens zu diesem Zweck nach Hamburg, um die Gruppe zu begrüssen und willkommen zu heissen. In keinem Augenblick rueckte das persönliche Kennenlernen der Kinder auf eine zweite Ebene. Das Ausflugs- und Sight-Seeing-Angebot um Hamburg herum bot viele Augenblicke, um sich näher zu kommen und sich kennen zu lernen. Die Alsterschifffahrt vom Jungfernstieg am Alsterpavillon zur Stadthallenbrücke, der Spaziergang durch den Stadtpark zum Planetarium, wo das Musikal "Der Kleine Tag" auf dem Programm stand, die Hamburger-Stadtrundfahrt im Doppeldeckerbus luden dazu ein, die knappen oder gar nicht vorhandenen Sprachkenntnisse in Mimik, Gesang und Freundschaftsgesten zu verwandeln, die mehr als Worte vermochten, alles was wichtig erschien, auszudrücken. Bei der Hafenrundfahrt auf der Elbe stand unsere Barkasse auf Kurs Richtung Guatemala. Doch, wer hätte aus diesem schönen Traum erwachen und an eine Rückkehr denken wollen?

Ein weiteres High-light erwartete uns beim Auftritt des dritten Konzertes, wo das internationale Musik- und Theater-Festival ein Fest für den Weltkindertag veranstaltete und wo der Kikotem-Chor mit den Alsterfröschen auf einer Ponton-Bühne vor einem 1.500 entzücktem Publikum aufgetreten ist. Im Nu eroberten die guatemaltekischen Kinder die Herzen der Menschen. "Zugabe! Zugabe! war das Schlüsselwort, das wir immer wieder in Deutschland zu hören bekamen.

Die guatemaltekischen Kinder fanden auch Zugang in die hiesigen Schulen der neuen Freunde, sie haben bei einer Gelegenheit in den Familien übernachtet und viele gemeinsame und intensiv gelebte Stunden miteinander verbracht. "Jugendbotschafter", so lautete die offiziele Auszeichung, die sie erhielten, als sie Guatemala verliessen.

Birgt ein solches Projekt nicht in sich den Keim der Völkerverständigung, die einen dauerhafteren Frieden auf Völkerverständigungsebene herbeirufen könnte? Wenn Freundschaft eine Bereicherung ist und offensichtlich verbindet, dann mag dies der Fall sein. Und die Freundschaftsknüpfung stand in diesem Projekt im Vordergrund . Das gemeinsame Singen baute Brücken über die offensichtlichen Sprachbarrieren hinaus. Die Einladung ins Rathaus, wo Senatoren und Parlamentarier ihren Regierungssitz haben, bekundete über eine anerkennende Geste des stellvertretenden Bürgermeisters in Hamburg diese Einsicht, als im Rahmen eines offiziellen Empfangs das Projekt gelobt wurde und die beteiligten Alsterfrosch- und Kikotem-Kinder, aber auch die anwesenden Erwachsenen ermutigt wurden, in diesem Projekt die Züge der gelebten Völkerverständigung zu erkennen. Die Kinder fühlten sich wahrhaftig Vertreter und "Jugendbotschafter" ihrer Länder und bedankten sich für die öffentliche Anerkennung ... natürlich mit Gesang!

Die Erfahrungsebene an der Elbe schien keine Steigerung zuzulassen, als wir in Gedanken unser nächstes Ziel anpeilten, das uns aus der Ferne zuwinkte. Es ist so viel positive Energie in Hamburg geflossen, es ist in verschwenderischer Weise Liebe und Herzlichkeit verschenkt worden und sowohl offene, nun auch durch den bevorliegenden Abschied, wehmütige Herzen schauten sich mit Sehnsucht in die Augen, nicht ohne sich zu wundern, was die Begegnung in jedem einzelnen ausgelöst hatte. Die 9stündige Fahrt im Bus nach Oberschwarzach Richtung Bayern half etwas über den Abschiedsschmerz hinweg und rief ins Bewusstsein, dass wir uns zu dem Zeitpunkt genau auf dem Zenit der Reise befanden und die zweite Haelfte eines wahr gewordenen Traumes noch bevorstand.

Als uns dann bei der Ankunft im Süden Dutzend über Dutzend neue Arme entgegengestreckt erwarteten, erlagen die Wehmutsgefühle der herzlichen Willkommensbegrüssung. Erneut weiteten sich die Herzen, um Platz für neue Freunde zu schaffen, die uns in der zweiten Begegnungsphase unserer Reise mit extremer Offenheit und einer warmherzigen, aussergewöhnlichen Gastfreundschaft empfingen. Wer wollte dabei schon die Hamburger Freunde vergessen? Doch, wer konnte sich dem Wall der Liebe entziehen und nicht mit erneuter Dankbarkeit die bayerischen Freunde in die Arme schliessen? Dass sich Herzen so weiten können, wenn sie sich offen gegenüberstehen, war eine geglueckte Erkenntnis. Mit derselben intensiven Herzlichkeit und Vertrauen sind die Kinder und Erwachsenen aufeinander zugegangen, haben über Zeichen, Mimik und lächelnden Gesten und Gesang zueinander gefunden. "Wir sind Kinder, der Stoff aus dem die Zukunft ist" – "Somos niños, la esperanza del futuro" und "Lieder, die wie Brücken sind" – "La música un puente es" sind weit verbreitete Liedertexte und Melodien von Rolf Zuckowski, die in diesem Kontext und Augenblick jedoch spürbar und erneut "geboren" wurden, weil sie authentisch gelebt wurden.

Steinmühle, Seesteig, Markt Einersheim, Buchenweg, Kästner Hof, Düttingsfeld, Schulchen – all dies sind die Namen der Häuser, in denen wir so herzlich aufgenommen wurden. Ein heilpädagogisches Zuhause unter dem Konzept "Heim kommt von Heimat". Kinder aus emotional unstabilen Familien, die entsprechende Fürsorge für ihr Gedeihen und ihre gesunde Entwicklung benötigen, finden im Erich-Kästner-Kinderdorf ein Zuhause, wie aus dem Bilderbuch. Gunda Fleischauer, Andrea und Daniela mit einem umfangreichen Team von Mitarbeitern bilden das Herz dieser Einrichtung, die mitten im Grünen, fern von aller Hast und städtischer Hetze, mitten in der Natur von Weinbergen umrungen und sinnesanregenden Wäldern und Wiesen steht. An diesem idyllischem Ort haben uns unsere deutschen Freunde mit der grossen Erich-Kaestner-Kinderschar empfangen und eine Woche lang liebevollst umsorgt. Im Mittelpunkt stand die ausdrucksvolle Herzlichkeit der Menschen und das besondere "Gespür für Atmosphäre" der Kästner-Heime. Die Musik spielte dabei die Rolle des natürlichen Bindegliedes, da wo sich Gefühle mit Worten allein nicht mehr ausdrücken liessen, weil die fremde Sprache eine Hürde darstellte. Aus der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Musik erwachte ganz authomatisch die Offenheit unter den Kindern und Erwachsenen. Hier ging ausserdem die Liebe durch den Magen und die kulinarischen Kostbarkeiten wurden als eine zusaetzliche Geste der Freundschaft empfunden, Gaumengenüsse in Erinnerung zu behalten.

Auch in Markt Oberschwarzach hat ein offizieller Empang im Schlösschen beim Bürgermeister Radler für grosse Spannung gesorgt. Der Bürgermeister erörterte die Wichtigkeit und Traszendenz des Kikotem-Projektes und die Bereicherung, die eine Begegnung dieser Art mit sich bringt, wenn zwei verschiedene Kulturen sich verbrüdern und über die Musik und die menschlichen Beziehungen Freundschaft schliessen. Er aeusserte ebenfalls seine Ueberzeugung, dass die Hoffnung der Zukunft in den Kindern steckt und das heutige Projekt auf Neues und Modellhaftes setzt durch ein beispielhaftes Vorhaben zur Völkerverständigung, Freundschaftsknüpfung und Friedensstiftung zwischen Ländern im Rahmen der Musik für und mit Kindern. Ausserdem spricht das Projekt vom inneren Charakter her ebenfalls die Erwachsenen an als Eltern und wichtigsten Erzieher ihrer Kinder. Bürgermeister Radler drückte seine Freude aus, dass es ihm wichtig war, die Jugendbotschafter aus Guatemala persönlich zu empfangen, dass er sogar seinen Urlaub verschoben hat. Diese Geste ehrte uns alle sehr.

Das vierte Konzert, zu dem Rolf Zuckowski das Publikum einlud, und dass unter demselben Motto "MEINE WELT – DEINE WELT" in der Umgebung aushing, war der letzte Aufschwung an Emotionen, die sich nicht nur auf der Bühne konzentrierten, sondern auf das anwesende Publikum von ca. 1000 Leuten uebergesprang. Gross und Klein solidarisierte sich mit unseren Gefuehlen, die zu diesem Zeitpunkt bereits den Wehrmutstropfen des Abschieds fuehlten. Nach dem Konzert gab es einen einmaligen Pizza-Satt-Schmaus, bevor dann nach einer langen Nacht der Bus nach Frankfurt die 53köpfige Kikotem-Mannschaft um 2:30 am Morgen zum Flughafen zum Abschied begleitete.

Rolf Zuckowski, der 2003 Guatemala besuchte und dieses Land kennen und lieben gelernt hat, begleitete die Kikotem-Crew ganz nah über zwei Wochen hinweg. Seine ausgesprochene Fürsorge für jeden einzelnen der Guatemalteken hat die Sympathie zum deutschen Liedermacher intensiviert und erreicht, dass jeder ihn ganz besonders für sich ins Herz geschlossen hat.

Guatemala lebt in Deutschland in vielen Herzen weiter
und umgekehrt genauso:
Deutschland lebt in Guatemala in vielen Herzen weiter.

Bildergalerie vom KIKOTEM-Besuch in Hamburg